
Wie bleibt die Beziehung lebendig?
Einleitung: Wenn Liebe unter Wäschebergen verschwindet
Am Anfang war da dieses Wir. Gemeinsame Sonntage im Bett, spontane Ausflüge, tiefe Gespräche bei Wein und Kerzenschein. Dann kam das Kind – mit all seiner Liebe, seinen Bedürfnissen, seinem Chaos. Plötzlich ist da kaum noch Raum für Zweisamkeit. Gespräche drehen sich um Schlafrhythmen, Windelgrößen, Kita-Plätze. Und irgendwo dazwischen verlieren sich viele Paare selbst – und einander.
Die Umstellung vom Paar zum Elternteam ist tiefgreifend. Sie betrifft nicht nur den Alltag, sondern erschüttert auch die Dynamik der Beziehung. Nähe wird weniger, Konflikte nehmen zu, Bedürfnisse bleiben unausgesprochen – und die Liebe? Die leidet oft still mit.
In diesem Artikel geht es um genau diese Herausforderung:
Wie gelingt es, auch als Eltern Paar zu bleiben?
Was braucht es, um sich im Trubel des Familienlebens nicht zu verlieren?
Und wie können kleine Rituale, neue Sichtweisen und therapeutische Impulse helfen, die Verbindung lebendig zu halten?
Die ersten Jahre mit Kind – eine emotionale Belastungsprobe
Die Geburt eines Kindes verändert alles – auch die Partnerschaft. Studien zeigen, dass in den ersten zwei Jahren nach der Geburt viele Paare einen deutlichen Rückgang von Zufriedenheit, Nähe und Sexualität erleben. Statt inniger Zweisamkeit dominieren Erschöpfung, Rollenunklarheit und Alltagsorganisation.
Typische Belastungen in dieser Phase:
Chronische Müdigkeit: Schlafmangel wirkt wie ein Verstärker für Streit und Rückzug.
Mentale Last: Wer übernimmt die Verantwortung für Arzttermine, Essensplanung, Wechselkleidung?
Veränderte Rollenbilder: Der Übergang zur Mutter- oder Vaterrolle verändert Identitäten – und die Beziehung.
Körperliche und emotionale Veränderungen: Nach Schwangerschaft und Geburt verändert sich nicht nur der Körper, sondern auch das Empfinden von Nähe und Sexualität.
Hinzu kommt: Viele Paare fühlen sich mit diesen Herausforderungen allein. Die Vorstellung, Elternsein müsse „glücklich machen“, lässt kaum Raum für Überforderung oder Distanz – und genau das macht es oft noch schwieriger.

Zwischen Nähebedürfnis und Rückzugswunsch
Ein zentrales Thema in der Elternzeit ist das veränderte Nähe- und Distanzbedürfnis. Während sich ein Elternteil nach Berührung und Intimität sehnt, fühlt sich der andere möglicherweise emotional leer oder körperlich überfordert.
Beispiel:
Eine Mutter berichtet: „Den ganzen Tag habe ich ein Baby auf mir. Abends brauche ich einfach nur Raum für mich. Mein Partner aber denkt, ich hätte keine Lust auf ihn.“
Dieses Ungleichgewicht führt oft zu Missverständnissen:
Der eine fühlt sich abgelehnt.
Der andere fühlt sich bedrängt.
Beide ziehen sich zurück – und vermissen gleichzeitig Nähe.
Therapeutisch sinnvoll ist es hier, diese Dynamik sichtbar zu machen.
Nicht als Schuldzuweisung, sondern als Ausdruck unterschiedlicher Bedürfnisse. Nähe kann nur entstehen, wenn Rückzug auch erlaubt ist. Und Distanz überbrückt werden darf – langsam, achtsam, ohne Druck.
Wenn Kommunikation nur noch funktional ist
Im Elternalltag geht vieles unter – auch das Gespräch. Zwischen Einkaufsliste, Zahnarzttermin und Einschlafbegleitung bleibt kaum Raum für echte Begegnung.
Viele Paare kommunizieren in dieser Zeit vor allem organisatorisch:
„Wer holt heute ab?“
„Was gibt’s zu essen?“
„Hast du den Kita-Zettel unterschrieben?“
Dabei fehlt oft die emotionale Ebene. Wie geht es mir? Was bewegt mich? Was wünsche ich mir von dir?
In der Paarberatung arbeite ich deshalb häufig mit dem Konzept der doppelten Kommunikationsebene:
Organisationsebene: Wer, wann, was?
Beziehungsebene: Wie erlebe ich dich gerade? Wie erlebst du mich?
Der Schlüssel liegt darin, beide Ebenen wieder zu aktivieren. Das gelingt durch:
bewusste Gesprächszeiten ohne Ablenkung
aktive Zuhör-Übungen („Ich höre, dass du … fühlst … weil …“)
Validierung statt Lösung („Das ergibt Sinn – danke, dass du das teilst.“)
Elternteam vs. Liebespaar: Rollen erkennen und trennen
Eltern zu sein ist ein Fulltime-Job – oft ohne Pause. Doch wer dauerhaft nur als Vater oder Mutter funktioniert, verliert schnell den Zugang zur Paarbeziehung.
Ein häufiges Muster in der Beratung:
Beide sehen sich nur noch in ihrer Funktion („Er hilft nicht genug“, „Sie plant alles“)
Gemeinsame Erinnerungen als Paar verblassen
Die Rollen vermischen sich – das Kind steht im Zentrum, das Paar tritt zurück
Therapeutisch wirksam ist hier die bewusste Differenzierung:
Wer bin ich als Mutter/Vater – und wer als Partner:in?
Wann sind wir Familie – und wann Paar?
Welche Momente gehören nur uns?
Schon kleine Schritte helfen:
ein Abendessen ohne Kinderthemen
sich mit dem Vornamen ansprechen statt „Mama/Papa“
Zärtlichkeit im Alltag – unabhängig von Sexualität

Praxisbeispiel: „Wir funktionieren, aber wir fühlen nichts mehr“
Lisa und Daniel (beide Anfang 40, ein Kind, 3 Jahre) kommen in die Beratung: „Wir streiten kaum – aber es ist, als wären wir Kollegen. Die Leichtigkeit fehlt. Nähe. Humor.“
In der Arbeit wird deutlich:
Beide übernehmen viel Verantwortung, aber sprechen kaum über Gefühle
Es gibt keine festen Zeiten mehr für Zweisamkeit
Die Erwartungen an „funktionierende Elternschaft“ sind hoch, aber wenig reflektiert
Über Übungen zur Selbstwahrnehmung, kurze Dialogformate und das Einführen eines „Wochen-Rituals“ (20 Minuten Paarzeit ohne Handy & Kind) entsteht langsam wieder eine Verbindung.
Nicht perfekt – aber lebendig.
Sexualität nach der Geburt – Nähe neu definieren
Ein besonders sensibles Thema nach der Geburt ist die Sexualität. Für viele Paare verändert sich das körperliche Miteinander – nicht nur hormonell oder körperlich, sondern emotional.
Typische Fragen in der Beratung:
„Wie viel Nähe ist normal?“
„Ich habe keine Lust – stimmt etwas nicht mit mir?“
„Wie kommen wir körperlich wieder zusammen?“
Antworten darauf gibt es keine pauschalen. Aber was hilft, ist eine neue Sprache für Nähe. Statt:
„Wir müssen wieder Sex haben“, eher:
„Wie können wir körperlich miteinander in Kontakt sein – ohne Druck?“
Berührung darf neu entdeckt werden: langsam, absichtslos, achtsam. Wichtig ist, dass beide Seiten gehört werden. Es geht nicht um eine Rückkehr zu „früher“, sondern um ein neues gemeinsames Körpergefühl im Jetzt.
Übungen für den Beziehungsalltag mit Kind
1. Paarzeit-Minuten:
Stellt einen Timer auf 10 Minuten. Kein Handy, keine Kinderthemen, nur: „Wie geht es dir – und was brauchst du gerade von mir?“
2. Dankbarkeit sichtbar machen:
Schreibt euch kleine Zettel („Ich habe gesehen, wie du heute … – danke dafür“) und legt sie z. B. ans Kopfkissen.
3. Nähe ohne Worte:
Haltet euch für 60 Sekunden im Arm – ohne reden, ohne Ablenkung. Spürt den Moment.
4. Elternabend zu zweit:
Einmal im Monat: Babysitter, Essen gehen oder einfach zuhause Kerzen, Wein, Musik – nicht als Pflicht, sondern als Geschenk.
5. Mentale-Last-Check:
Macht eine Liste: Wer denkt an was? Termine, Geschenke, Arztbesuche, Kleidung etc. Danach: bewusst umverteilen.

Fazit: Paar bleiben ist Arbeit – aber lohnenswert
Zwischen Trotzphasen, Wäschebergen und Kita-Zetteln ist es leicht, sich zu verlieren. Aber es ist auch möglich, sich wiederzufinden – als Paar, als Menschen, als Liebende. Es braucht Zeit, Achtsamkeit und manchmal Unterstützung von außen.
Die gute Nachricht: Intimität, Nähe und Leichtigkeit lassen sich neu entdecken. Nicht durch mehr Funktionieren, sondern durch bewusste Verbindung. Kleine Rituale reichen oft aus, um etwas wieder lebendig werden zu lassen, das unter Windeln und Erwartungen verborgen liegt:
die Beziehung.
Sie haben Fragen?, oder sind auf der Suche nach Unterstützung?
Möchten Sie Ihre Beziehung als Eltern stärken?
In meiner systemischen Paarberatung begleite ich Sie dabei, wieder in Verbindung zu kommen – jenseits von Rollenbildern und Alltagsstress.