
Wenn das Wir zerbricht – und das Elternsein bleibt
Eine Trennung verändert alles. Was einmal Paar war, wird zu getrennten Lebenswegen. Doch wenn Kinder da sind, endet die Beziehung nicht vollständig – sie verwandelt sich. Das „Wir“ als Liebesbeziehung mag zerbrochen sein, doch das „Wir als Eltern“ bleibt bestehen.
In meiner Praxis erlebe ich immer wieder, wie schwer dieser Übergang fällt. Verletzungen, Wut, Enttäuschung und Unsicherheit stehen dem Wunsch gegenüber, die Kinder gut durch diese Zeit zu begleiten.
Dieser Artikel richtet sich an Eltern, die sich in einer Trennung befinden oder bereits getrennt leben – und sich fragen: Wie können wir Eltern bleiben, wenn wir kein Paar mehr sind? Und wie schaffen wir es, dass unser Kind nicht zwischen uns gerät?
Eine Lebenskrise – auch für Kinder
Trennungen sind einschneidende Erlebnisse. Auch wenn sie friedlich verlaufen, stellen sie das gewohnte Leben auf den Kopf. Kinder spüren intuitiv, dass etwas Grundlegendes nicht mehr stimmt – lange bevor es ausgesprochen wird.
Wichtig zu wissen:
Kinder müssen nicht durch eine Trennung dauerhaft geschädigt werden.
Entscheidend ist nicht die Trennung an sich – sondern wie sie gestaltet wird.
Was Kinder brauchen, ist keine „perfekte Lösung“, sondern ein sicherer emotionaler Rahmen.
Was Kinder in Trennungssituationen wirklich brauchen
Sicherheit und emotionale Verlässlichkeit
Kinder brauchen das Gefühl: Ich bin nicht schuld. Ich bin nicht allein. Die Welt um mich verändert sich – aber ich werde weiter geliebt.
Ehrliche, kindgerechte Kommunikation
Kinder spüren Konflikte. Schweigen oder plötzliche Veränderungen ohne Erklärung verunsichern sie. Offene, altersgerechte Worte schaffen Orientierung.
Zeit, um sich zu gewöhnen
Kinder reagieren unterschiedlich: manche mit Rückzug, andere mit Wut oder Traurigkeit. Geduld und wiederkehrende Rituale helfen, Übergänge zu verarbeiten.
Gemeinsame Elternverantwortung
Kinder brauchen beide Eltern – emotional und strukturell. Auch wenn es Konflikte gibt, sollten beide möglichst verlässlich präsent bleiben.

Was Kindern schadet – auch wenn es nicht laut ist
Loyalitätskonflikte: Wenn Kinder das Gefühl haben, sich zwischen den Eltern entscheiden zu müssen.
Elternebene vermischt sich mit Paarebene: „Weil du mich verletzt hast, darfst du das Kind nicht mehr sehen“ – das ist emotional verständlich, aber für Kinder toxisch.
Instrumentalisierung: Wenn Kinder als „Botschafter“, „Verbündete“ oder „Korrektiv“ eingesetzt werden.
Abwertungen des anderen Elternteils: Selbst subtile Bemerkungen können das kindliche Selbstbild erschüttern. Denn: Kinder sind aus beiden Eltern „gemacht“.
Wie Eltern trotz Trennung im Kontakt bleiben können
Trennung der Ebenen
Was war in der Partnerschaft schmerzhaft, bleibt bedeutsam – sollte aber nicht das gemeinsame Elternhandeln dominieren. Viele Paare profitieren davon, Elternthemen schriftlich, sachlich und lösungsorientiert zu klären.
Verlässliche Absprachen
Kinder brauchen Rhythmus. Ob Wechselmodell oder Residenzmodell – wichtig ist Verlässlichkeit. Überraschungen und Spontanität sollten minimiert werden.
Neutralität vor Emotion
In konflikthaften Situationen hilft es, den Fokus vom eigenen Ärger auf das Wohl des Kindes zu richten. Es geht nicht um „gewinnen“, sondern um „gelingen“.

Wenn Kommunikation nicht (mehr) möglich ist
Manche Eltern können oder wollen nicht miteinander sprechen – etwa nach Gewalt, emotionalem Missbrauch oder massiven Verletzungen. Dann braucht es andere Lösungen:
Vermittlung durch Familienberatung oder Mediation
Austausch über Elternportale / Apps
Klare Regeln, ggf. mit rechtlicher Begleitung
Im Extremfall: Kontakt nur über Jugendamt oder Umgangsbegleitung
Auch diese Wege sind legitim – solange sie das Kind schützen und nicht zum Austragungsort weiterer Konflikte werden.
Trennung verarbeiten – für Eltern wie für Kinder
Oft wird übersehen: Auch Eltern trauern. Um eine gemeinsame Zukunft, um gemeinsame Rituale, um ein Bild von Familie. Diese Trauer darf Raum haben – und braucht manchmal Begleitung.
Gleichzeitig verarbeiten auch Kinder das Ende einer Familienform auf ihre Weise. Typische kindliche Reaktionen:
Rückschritt in der Entwicklung (z. B. wieder einnässen)
Schulprobleme
Schlafstörungen
Verlustängste
Aggressives Verhalten oder Rückzug
Nicht jede Reaktion ist „besorgniserregend“. Aber sie ist ein Signal – und sollte ernst genommen werden.
Was hilft, wenn alles schwer ist
Struktur geben: Feste Zeiten, klare Abläufe, wiederkehrende Rituale
Kindliche Fragen ernst nehmen: „Wird Papa mich jetzt weniger liebhaben?“ – darauf braucht es echte Antworten
Netzwerk nutzen: Großeltern, Kita, Schule, Freunde – auch andere Bezugspersonen können Halt geben
Beratung in Anspruch nehmen: Familienberatung oder Kinderpsychotherapie kann entlasten – nicht nur im akuten Krisenfall
Geteilte Elternschaft nach der Trennung – Welche Modelle sind möglich?
Nach einer Trennung stellt sich oft die Frage: Wie organisieren wir den Alltag mit unserem Kind?
Es gibt nicht das eine „richtige“ Betreuungsmodell – entscheidend ist, was zur Lebensrealität aller Beteiligten passt und dem Wohl des Kindes dient.
Residenzmodell (Ein-Haushalt-Modell)
Das Kind lebt hauptsächlich bei einem Elternteil, der andere hat regelmäßige Besuchszeiten oder Wochenendkontakte.
Wechselmodell (paritätische Betreuung)
Das Kind lebt annähernd gleich viel bei beiden Elternteilen – z. B. im wöchentlichen oder 14-tägigen Wechsel.
Individuelle Mischformen
Viele Familien gestalten flexible Lösungen, z. B. mit einem Hauptwohnsitz und häufigen Übernachtungen beim anderen Elternteil.
Nicht das Modell an sich entscheidet über das Wohl des Kindes, sondern wie es gelebt wird: verlässlich, einvernehmlich, transparent und kindgerecht.
Wenn das Kind nicht mehr zum anderen Elternteil will
Manche Kinder verweigern nach der Trennung den Kontakt zu einem Elternteil. Gründe dafür können sein:
Loyalitätskonflikte
Emotionale Überforderung
Eigene Erlebnisse beim anderen Elternteil
Wichtig:
Nicht mit Zwang oder Strafen reagieren
Kind ernst nehmen, aber nicht instrumentalisieren
Gespräch mit neutraler Begleitung suchen
Falls nötig: Beratung oder Kinderpsychotherapie einbeziehen

Eigene Kindheit aufarbeiten – um Elternschaft neu zu gestalten
Trennungssituationen aktivieren oft auch eigene alte Wunden:
„Meine Eltern haben sich damals auch getrennt.“
„Ich will nicht die gleichen Fehler machen.“
„Ich weiß gar nicht, wie gesunde Elternschaft geht.“
In der psychotherapeutischen Arbeit geht es häufig darum, eigene Bindungserfahrungen zu reflektieren, innere Glaubenssätze zu verändern und die Elternrolle bewusster, authentischer und gesünder zu gestalten.
Kinder stärken – auch in stürmischen Zeiten
Ein paar konkrete Sätze, die Kindern in der Trennungszeit helfen können:
„Du darfst Mama und Papa liebhaben – gleichzeitig.“
„Wir kümmern uns beide weiter um dich.“
„Du bist nicht schuld, dass wir uns getrennt haben.“
„Wir bleiben deine Eltern – auch wenn wir kein Paar mehr sind.“
„Du darfst traurig oder wütend sein. Wir sind für dich da.“
Fazit: Kinder brauchen keine perfekte Trennung – sondern präsente Eltern
Eine Trennung mit Kind ist eine enorme Herausforderung – aber auch eine Chance: für persönliche Entwicklung, für neue Familienformen, für ein bewusstes Elternsein.
Kinder sind stark – wenn sie erleben: Ich werde geliebt, ernst genommen und nicht allein gelassen. Auch dann, wenn Mama und Papa kein Paar mehr sind.
Wenn Sie Unterstützung brauchen
Ich begleite Sie gern.
Ob als Einzelperson, Co-Elternteil oder Familie: In meiner systemisch-verhaltenstherapeutischen Beratung unterstütze ich Sie dabei, Klarheit zu finden, handlungsfähig zu bleiben – und Ihre Kinder gut durch die Trennung zu begleiten.